Im Gespräch mit… Eva Hosemann

Im Gespräch mit… Eva Hosemann

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Die stellvertretende künstlerische Leiterin Frau Hosemann macht vor, dass Veränderung immer möglich ist – am besten dann, wenn man sich gut aufgehoben fühlt. Sie hat 15 Jahre lang erfolgreich das Theater Rampe in Stuttgart geleitet. Nachdem ihr Sohn flügge geworden ist, startet sie nochmal neu durch und bricht beruflich ihre Zelte in Stuttgart ab. Nach der Inszenierung des Stückes „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ in Hamburg hat sie sich für diese und die nächsten Sommermonate in Jagsthausen verpflichtet.

Was hat Sie an dem Engagement in Jagsthausen gereizt?

Für mich ist Freiluft eine völlig neue Erfahrung. Ich habe in Stuttgart eher eine experimentelle Autorentheaterbühne geleitet. Das ist was ganz anderes. Ein anderes Medium, ein anderes Genre. Und das hat mich total gereizt. Es macht mir nach wie vor ungeheuren Spaß: mit diesem Originalschauplatz umzugehen, mit der Geschichte, und was ganz faszinierend ist, ist wie dieser Ort mitzieht. Wie die Menschen, die hier leben von den Festspielen durchdrungen sind. Das ist was ganz Besonderes. Und das hat mich gereizt.

Was schätzen Sie an der Zusammenarbeit mit Herrn Schneider?

Axel Schneider hat einen unglaublich klaren Kopf und einen tolle Art zu denken: „Wie geht man mit diesem Ort um. Was sind die die Positiva? Was sind die Negativa und wie kann man diese umgehen?“ Er hat – was er ja auch in Hamburg beweist – einen unglaublichen Riecher für Themen, für Stücke und für Menschen. Es ist sehr spannend und beeindruckend mit ihm zu arbeiten und das zu sehen.

 

Sie haben „die Päpstin“ in Jagsthausen inszeniert. Was macht das Stück in Ihren Augen aus?

In meinen Augen ist es die Geschichte von einem Menschen, der etwas sein will, was er nicht sein darf – aufgrund von gesellschaftlichen Strukturen und Zwängen. In diesem Fall: eine denkende Frau zu sein. Man kann ihren Weg miterleben, sehen wie sie trotz allem versucht das zu sein, was sie sein möchte. Doch leider muss sie sich als Mann ausgeben und kann darum ihr Leben nicht ganz leben. Und wenn man  etwas nicht ganz sein kann, funktioniert das nicht. Sie scheitert.

Gibt es etwas, was Sie an Jagsthausen überrascht hat?

Es gibt ja allseits die Meinung, in Dörfern gibt’s nichts. Immer wieder sieht man irgendwo ein Dorf sterben so wie man es ein bisschen auf der Alb beobachten kann. Hier finde ich es so ungeheuerlich, dass sich aus dem Dorf heraus eine Gemeinschaft, eine Genossenschaft bildet, der es gelingt, einen Dorfladen zu gründen. Und wenn man mal bedenkt, was dieser Ort so alles hat, für seine 1.600 oder 1.700 Einwohner, das finde ich schon beeindruckend und das hat mich überrascht. Diese sensationelle Turnhalle, dann die Gastronomie bis hin zu einer Dönerbude, die auch noch gut ist. Das alles in dieser wahnsinnig idyllischen Umgebung. Ich bin total gern hier.
Ich habe witzigerweise gedacht, dass ich öfters pendle, aber immer wenn ich in Stuttgart bin, weil ich wegen irgendwas hin muss, denke ich mir: „Was soll ich hier, ich fahr jetzt wieder zurück.“ Man hat hier schon eine sehr beschauliche Ruhe und auch die Verbindung von Kunst und Natur, die ist schon sehr außergewöhnlich und macht großen Spaß. Ich hätte nicht erwartet, dass ich hier so verwurzle und ich finde es schön so zu arbeiten.

 

Welches Stück würden Sie gerne in einer der folgenden Spielzeiten nach Jagsthausen bringen?

Der Kopf ist im Moment voll mit Themen und Stücken, die hierher passen würden, die teilweise auch schon da waren. Ich sehe immer noch Macbeth hier. Ein schöneres Stück hier im Schloss und im Wald in dieser sagenhaft magischen Atmosphäre, wenn plötzlich die Fledermäuse über die Bühne fliegen, gibt es gar nicht. Shakespeare passt hier einfach. Es gab ja auch schon einige Shakespeare-Stücke hier. Mittelalterliches passt toll. Wie sich auch an der Päpstin gezeigt hat. Ich finde man muss diesen Ort bedienen.

 

Die diesjährige Spielzeit ist fast zu Ende. Wie sieht Ihr Resümee aus?

Auch da kann ich an den vorhergehenden Gedankengang anknüpfen. Ich bin sehr positiv überrascht von vielem hier. Dieser Puls, der hier in Jagsthausen mit den Festspielen zu spüren ist, ist wirklich toll. Dieses gemeinschaftliche, die Arbeit mit den Laien, die sich ihre Zeit absparen, extra Urlaub nehmen für die Endproben: Dieses Engagement ist sehr bewegend. Und die Stücke kamen super an, was uns sehr gefreut hat. Michael Bogdanov hat mit Götz Otto und Alexandra Kamp wirklich was Tolles aus dem Götz von Berlichingen herausgeholt. Ich habe das Stück zum ersten Mal verstanden. Ganz besonders ist ein derart engagiertes Ensemble, das mit Leib und Seele in Jagsthausen ist. Es gibt keinen einzigen, der murrt oder sagt, ich würde gerne mal ins Kino gehen. Ob mit Daunenjacken bei den Proben sitzend oder mit Sonnencreme, wenn man sich der Sonne kaum mehr erwehren kann – sie tragen das mit Freude und Professionalität. Bis zur letzten Premiere haben sie herangeschuftet. Manche sind in vier Stücken: Kindertheater, abends eine Vorstellung und am nächsten Tag wieder das Kinderstück. Das sind schon Belastungen. Jeder hat sich eingebracht. Sowohl privat als auch bei der Arbeit. Sie haben zusammen gespielt und gegessen, Alexandra Kamp hat viel gekocht. Ein sehr waches, mitdenkendes Ensemble. Das wusste ich nicht, dass das so sein kann. Das ist für mich das größte Glück.

Werden wir den ein oder anderen Schauspieler im nächsten Jahr auch wieder hier sehen?

Ja!

 

Wenn man dem, was die Medien über Sie berichten, trauen darf, haben Sie Ihren Sohn alleine großgezogen und trotzdem Ihren beruflichen Weg erfolgreich verfolgt. Wie tanken Sie persönlich Kraft?

Nein, es gibt schon einen Vater dazu. Wir haben uns getrennt, da war das Kind 10. Es war immer klar, dass wir uns auch nicht scheiden lassen, so lange das Kind nicht volljährig ist. Und er seine Pflichten mehr als wahrgenommen. Er war viel bei ihm und hat eigentlich fast den ganzen schulischen Weg mit ihm bestritten während ich im Theater war. Es war also nicht so, dass ich ihn alleine großgezogen habe.
Wie tanke ich Kraft? Mein Motor ist Neugierde und das Aufnehmen von Neuem. Es kann für mich sein, dass ich einen Tag lang im Straßencafé sitze, das kann aber auch sein, dass ich auf einem Stein sitze und ins Wasser schaue. Ich muss es anders sagen: Wenn ich in den Urlaub fahren würde, wollte ich drei Monate da bleiben. Das geht aber nicht. So suche ich im Alltag im Kleinen meine Erholung. Ich schlafe sehr gerne. Ich bin eine Schlaf-Erholerin. Und ich kippe in Bücher. Das ist für mich überhaupt die größte Erholung. Das Größte ist für mich, wenn ich einen Tag lang lesen darf. Dann bin ich selig. Literatur, die gedankliche Welten öffnet, macht mir große Freude. Ich lese im Moment von Donna Tartt „Der Distelfink“. Das ist ein ungeheuerliches Buch, das ich jedem wärmstens empfehlen kann. Man sollte nicht vor den 1.000 Seiten zurück schrecken.